Wer in Marrakech, an der Atlantikküste in Essaouira oder in der Universitätsstadt Fes schon einmal einige Tage in einem Riad verbracht hat, weiss um die einmalige Erfahrung, zu der ein solcher Aufenthalt werden kann. Oft wird ein solches Erlebnis als „paradiesisch“ beschrieben, womit jeder, der diesen Begriff mit diesem Ort in Zusammenhang bringt, sicher Recht hat. Denn das Wort Paradies – aus dem Altpersischen stammend: „pairidaeza“ (pairi: rund herum; daeza: Mauer) – bedeutet nichts Anderes als ein von einer Mauer umgürteter Garten.
Abgeschiedenheit und Geborgenheit sind Attribute, die solchen Innenhöfen zugeschrieben werden. Hinter dicken Mauern, die kaum ein Laut zu durchdringen vermag, findet man eine fast klösterliche Atmosphäre der Ruhe, die den darin Verweilenden in eine andere Welt versetzt. Und gerade der Gegensatz zu den belebten Strassen einer Medina, die oft überquellen von Menschen, Geräuschen und Gerüchen, macht den Moment des Überschreitens der Schwelle eines Riads zu etwas Magischem.
Übersetzt heisst Riad nichts Anderes als „Garten“. Bei einem marokkanischen Riad handelt es sich meistens um ein ein- oder zweigeschossiges Wohnhaus mit einem nicht überdachten, quadratischen oder, in selteneren Fällen, rechteckigen Innenhof. Damit ein solcher Innenhof als „Riad“ – im Vergleich zu einem „Dar“ – bezeichnet werden darf, muss es in jedem der vier Teilquadrate des Innenhofs ein Blumenbeet geben. Nach der Tradition ist ein solches Beet mit einem Schatten spendenden Orangen – oder einem Zitronenbaum bepflanzt.
Wasser ist in den arabischen Gärten wohl der Protagonist: dem Wasserbecken im Zentrum des Innenhofs kommt neben seiner Bedeutung als Schmuck und Zierde eine hohe symbolische Bedeutung zu. Es stellt den Ursprung dar, von dem, wie im Koran beschrieben, die vier Paradiesflüsse als Ströme von Milch, Honig, Wasser und Wein ausgehen. In einigen der grösseren und reichhaltiger ausgestatteten arabischen Patios – zum Beispiel in der Alhambra in Granada – führen tatsächlich schmale Kanäle, welche jene Paradiesflüsse Pison, Gichon, Euphrat und Tigris andeuten, vom Brunnen weg in die vier verschiedenen Weltrichtungen. In Wüstenländern, wo Wasser immer schon ein rares Gut darstellte, wird dieses zum Lebenselixier schlechthin. Im Kontrast zur tödlichen Wüste erkennt der Muslim den ummauerten Garten mit seiner üppigen Flora und dem Wasserspiel auch als einen Ort der Begegnung mit dem Göttlichen, das ihn zum inneren Frieden führen kann.
Im letzten Mai habe ich bei Freunden in Marrakech mit meiner Bratsche in einem solchen Riad ein Konzert gespielt – Solosonaten von J.S. Bach, Max Reger und Paul Hindemith. Die Akustik innerhalb dieser hohen Mauern – obwohl der Hof nach oben ja offen ist – empfand ich als aussergewöhnlich angenehm.
Die Idylle wurde perfekt durch Vögel wie die Tibibt, eine kleine Vogelart in der Grösse von Spatzen, die sich immer wieder pfeifend zu Wort gemeldet haben und die Zuhörenden geradezu verzückten.
Auch Düfte spielen im islamischen Garten eine wichtige Rolle. Weil diese sich in einem Innenhof nicht in der gleichen Weise schnell verflüchtigen können, wie dies in einem offenen Garten der Fall wäre, wirken die ätherischen Öle blühender Zitrusbäume, eines Jasminstrauchs oder auch von Rosen unglaublich berauschend auf unsere Sinne ein.
Abgesehen vom Muezzin, der mehrmals täglich die Gläubigen zum Gebet ruft, und dem leisen Plätschern des Brunnens, kann man an einem solchen Ort Stille und Zurückgezogenheit erfahren. Der islamische Garten soll natürlich auch amüsieren und unsere Sinne verwöhnen, aber wohl noch viel wichtiger ist seine Aufgabe, unseren Geist zu reinigen und auch zu beruhigen.
Mehrere Faktoren sind für jenes grossartige Gesamterlebnis verantwortlich, doch ist es am Ende die schlichte Architektur dieses Innenhofs, welche das Raumgefühl innerhalb dieses Mikrokosmos massgeblich bestimmt – eine kleine Welt, die für sich selber bestehen kann – ein Kubus, obwohl nach oben offen, trotzdem in sich geschlossen zu sein scheint.
“Se reposer à l’ombre des orangers en fleur dont le parfum embaume, tandis que les oiseaux chantent et qu’une eau miroitante danse dans les vasques, c’est ainsi que le monde islamique médiéval s’imaginait le paradis. Et c’est cette image du bonheur parfait qu’il a tenté de recréer ici-bas à travers ses jardins, élevant son savoir-faire au rang d’un art à part entière.” (Autor unbekannt)
Fotos: Andreas C. Fischer
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