
Alles begann mit einem Wettstreit. Die griechische Göttin der Weisheit und der Kampfeskunst, Pallas Athena, und der griechische Meeresgott Poseidon wetteiferten um die Schirmherrschaft der bedeutendsten Stadt Griechenlands. Beide versprachen den Bürgern jener Stadt ein Geschenk. Poseidon wollte ihnen zum Dank eine Quelle mit Salzwasser und Athena einen Olivenbaum überreichen. Die Lieblingstochter von Zeus wurde gewählt, hatte sie doch das deutlich überzeugendere Präsent – wer will schon eine Salzwasserquelle – und seither heisst diese Stadt Athen.

Vor einigen Jahren besuchte ich den Garten Gethsemane (hebräisch: גת שמנים Gat-Schmanim – Ölpresse) am Ölberg in Jerusalem. Es soll der Ort sein, wo Jesus Christus nach dem Letzten Abendmahl, unmittelbar bevor er durch Judas verraten wurde, gebetet hatte. Noch heute stehen dort uralte, knorrige Olivenbäume, von denen berichtet wird, sie hätten schon damals in diesem Garten gestanden. Wenn man diese erblickt, muss man es wohl glauben, denn, abgesehen von ihren ungeheuren Ausmassen, hat ihr Aussehen nicht mehr viel mit einer Pflanze sondern eher mit abstrakter Kunst zu tun. Im Bewusstsein, welches besondere Ereignis diese Ölbäume bezeugt haben sollen, wurde in diesem Augenblick Geschichte und Spiritualität für mich plötzlich zu etwas sehr Realem.

Zusammen mit der Kermeseiche, dem Johannisbrotbaum und der Steineiche bildet der Echte Ölbaum oder Olivenbaum (Olea europaea) den mediterranen Hartlaubwald. Auch ist der Ölbaum der wahrscheinlich wichtigste Vertreter der mediterranen Kulturlandschaft. Lange gingen Wissenschaftler davon aus, dass diese Pflanze durch Menschen von Asien nach Europa gebracht worden waren, doch mittlerweile widerlegen fossile Funde von Kreta diese These. Vor ungefähr 50‘000 Jahren wurden bei einem Vulkanausbruch Blätter dieses Baumes von Asche eingeschlossen und sind bis heute erhalten geblieben.

Meine Faszination für diesen Baum geht natürlich weit zurück in meine Kindheit und Jugendzeit. Während den vielen Ferienreisen nach Italien, Frankreich und Spanien bin ich ihm immer wieder begegnet, doch erst Jahre später an der Giardina ZÜRICH bin ich auf alte Exemplare dieser Baumart gestossen, die mich so sehr begeisterten, dass ich mir in den Kopf setzte, irgendwann auch eine solche „Skulptur“ in unserem eigenen Garten zu haben. Es dauerte dann noch einmal eine Weile, und an einem schönen Junitag pilgerten mein damaliger Geschäftspartner und ich in ein kleines Dorf südlich des Lago Maggiore, wo wir bei einem Unternehmen, das eigentlich auf Christbäume spezialisiert ist, aber auch über eine Sammlung von mehreren Hundert, bis 1500 Jahre alte Olivenbäume verfügt, unseren ersten alten Ölbaum auswählten.

Etwa drei Wochen später wurde dieser fast fünf Tonnen schwere und etwa vierhundert Jahre alte Baum zu uns gebracht und mit einem Sechzig-Tonnen-Pneukran in den Garten gehoben. In den Tagen vor seiner Ankunft waren wir damit beschäftigt, von Hand ein 3.5 Meter langes, 2.5 Meter breites und 80 Zentimeter tiefes Loch auszuheben. Nun musste der Kranführer den Olivenbaum exakt in dieses hinein stellen, wobei wir bis zu jenem Moment unsicher waren, ob unser Graben auch wirklich gross genug sein würde. Mit Erleichterung stellten wir fest, dass wir richtig ausgemessen hatten – der Wurzelballen des Baumes fand ausreichend Platz! Es war pure Glückseligkeit, die uns nun erfüllte.
Es ist ja nicht nur der Baum mit seinem wunderbar strukturierten Holz, sondern vor allem seine Steinfrucht und ihr Öl, die unser Leben so sehr bereichern. Um die rohen Früchte überhaupt erst geniessbar zu machen, müssen diese mehrmals im Wasser eingelegt werden, damit so die Bitterstoffe ausgeschwemmt werden können. Wer hätte noch vor zwanzig bis dreissig Jahren gedacht, dass gerade in den Mittel – und Nordeuropäischen Ländern das kalt gepresste Olivenöl aus Spanien, Frankreich, Italien und Griechenland einen solchen Boom erleben würde. Heute kann man sich dieses Öl kaum mehr aus unserer Küche wegdenken, die – so scheint es – von Jahr zu Jahr immer mediterraner wird.

Auf einer Reise mit meinem Bruder lernte ich vor mehr als einem Jahrzehnt in einem südfranzösischen Dorf im Languedoc nicht nur irgendeinen, sondern jenen Olivenbauern Frankreichs kennen, dessen Oliven und das aus ihnen hergestellte Öl in den neunziger Jahren jedes Jahr die Goldmedaille gewannen. Seine Oliven, in Form und Grösse einem Wachtelei ähnlich, waren nicht, wie wir es uns gewohnt waren, im Öl eingelegt, sondern in einer Salzlauge. Bei einem Nachtessen servierte er uns zu diesen Oliven und getoastetem, mit frischem Knoblauch bestrichenen und in seinem eigenen Olivenöl getauchten Brot einen wunderbaren bernsteinfarbenen Muscat, den er Anfang der fünfziger Jahre zusammen mit seinem Vater gekeltert und abgefüllt hatte. Dieser Moment – ich muss es gestehen – war für mich das kulinarische Schlüsselerlebnis schlechthin: die totale Reduktion auf das Wesentliche. Nicht umsonst sagt man ja: „ Leben wie Gott in (Süd-)Frankreich!“
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