Reineke Fuchs, schlau und verschlagen, sogar perfide und gewalttätig soll er sein. So jedenfalls wird er in jenem berühmten mittelalterlichen Epos „Reynke de vos“ dargestellt. Eigentlich eine menschliche Tragödie und gleichzeitig eine tierische Komödie, in der sämtliche unserer Laster und Untugenden durch vermenschlichte Tiere – mit den berühmten Figuren Nobel der Löwe, Isegrim der Wolf, Braun der Bär und andere – zum Ausdruck gebracht werden.
Ich habe dieses Tier auf eine ganz andere Weise kennen gelernt: unglaublich verspielt, zutraulich und mindestens als Jungtier durchaus sanftmütig. Einzig am Futternapf traten gegenüber Hund und Katzen sehr wohl Aggressionen auf.
Es ist schon Jahre her, dass ich beim Joggen in Begleitung vom Hund meiner Eltern, einem Deutschen Boxer – „Uranos“ mit Namen – mitten im Wald einem kaum drei Wochen alten Füchslein begegnete, das mit noch leicht trüben Augen ziemlich verloren am Wegrand sass, über unsere Ankunft nicht gerade jubelte, aber sich immerhin auch nicht beschwerte.
Meinen vierbeinigen Begleiter konnte ich nicht mehr bremsen, als dieser schnurgerade auf diesen Winzling zusteuerte, dessen Köpfchen etwa die gleiche Grösse hatte, wie der übrige Teil seines Körpers. Der Kleine, in dem Moment ohne Anzeichen von Angst, wurde von Uranos beschnuppert und somit – dies redete ich mir mindestens ein – war ich selbstverständlich verpflichtet, den kleinen Fuchs mit nach Hause zu nehmen, denn er könnte ja bestimmte Krankheiten haben, die nun auf Uranos übertragen wurden und es müsste beim diesem kleinen Caniden entsprechend eine medizinische Untersuchung eingeleitet werden.
Mit Skepsis und Überraschung wurde ich von den zu Hause Weilenden empfangen: Was er wohl jetzt wieder angeschleppt hat? Zwar war es mein erster Fuchs, aber natürlich nicht das erste Mal, dass ich einen Vertreter aus dem Tierreich mit nach Hause brachte. Doch die Skepsis verschwand augenblicklich, denn niemand konnte sich dem unglaublichen Charme dieses kleinen Tieres entziehen. Es wurde von allen aufs Herzlichste willkommen geheissen, sämtliche „Mutterinstinkte“ haben sich bei uns allen aktiviert und es wurde sofort nach einer Möglichkeit gesucht, die geeignete Nahrung auf eine passende Weise zu verabreichen.
Nachdem wir ihn ein erstes Mal gesäugt hatten, suchten wir für ihn nun nach einer tauglichen Unterkunft. Vorläufig musste ihm ein Meerschweinchenkäfig genügen, in welches wir noch eine kleine, mit einer entsprechend grossen Öffnung versehene Kartonkiste stellten. Nun war der Kleine erst einmal versorgt.
Die ersten paar Tage wagten wir es nicht, das winzige Geschöpf nochmals mit unserem ungestümen Hund zusammen zu bringen. Wir trugen den Wollknäuel auf dem Arm und Uranos schaute neugierig von unten, in einer Art, die für uns schwer interpretierbar war: auf jeden Fall wollten wir keine Risiken eingehen.
Doch, wie es ja meistens der Fall ist: man wird nachlässiger oder auch mutiger und so entliessen wir die beiden nach ein paar Tagen – natürlich unter Beobachtung – aus unserer unmittelbaren Kontrolle. Sie krochen beide langsam und vorsichtig auf einander zu, beschnupperten sich ausgiebig und dann – es war für uns alle eine grosse Überraschung – die beiden wurden sehr schnell die besten Freunde. Eigentlich müsste man sagen: Uranos wurde zum Kindermädchen von Attila, so nämlich nannten wir den täglich grösser und schwerer werdenden Fuchs.
Von jetzt an ergab sich jeden Tag immer dieselbe Routine: nach eingenommener Mahlzeit wurde gespielt, dann wieder gefressen, vielleicht ein bisschen Siesta gemacht, dann wieder gespielt, der Hunger wieder gestillt und dann wieder geschlafen. Uranos kam kaum noch zur Ruhe, denn der Spieltrieb Attilas war so ungebremst, dass das „Kindermädchen“ ständig irgendwie „dä Lappi“ machen musste, wie man auf gut Schweizerdeutsch sagen würde.
Telefonische Abklärungen mit den für Wildtiere Verantwortlichen des Kantons Zürich haben dann ergeben, dass es selbstverständlich verboten war, was ich getan habe. Ich hätte den Fuchs liegen lassen sollen: der würde dann einfach sterben – so die Antwort, die wir bekommen haben. Wenn man eine so tiefe und zärtliche Beziehung zu einem solchen Tier aufbaut, ist eine solche Erklärung natürlich vollkommen unverständlich und schwer nachzuvollziehen.
Trotzdem, auf den Rat eines Wildhüters hin haben wir uns schweren Herzens nach etwa fünf Wochen mit der Auswilderungsstation des Kantons Bern in Verbindung gesetzt, wohin wir dann unseren neuen Freund hinbrachten, in der Hoffnung, dass er eines Tages wieder in die Freiheit entlassen werden und als ein echtes Wildtier weiterleben konnte.
Schreibe einen Kommentar