Der Kokedera oder das Westliche Paradies des Amida Buddha
Der wohl bedeutendste und älteste Moosgarten der Welt befindet sich im östlichen Bereich des Saihō-ji-Tempels, eines Rinzai-Zen-Buddhismus-Tempels in einem bei Kyoto gelegenen Waldstück. Der Tempel ist auch unter dem Namen Kokedera (Moostempel) bekannt. Der Garten wurde erbaut, um das Westliche Paradies (Reines Land) des Amida Buddha (Amitâbha im Sanskrit) nachzubilden. Seine Schönheit wie auch seine grosse Bedeutung für die japanische Kultur haben dazu geführt, dass dieser Garten 1994 auf die Liste des UNESCO Weltkulturerbes als ein Teil des historischen Monuments des Alten Kyoto aufgenommen wurde.
Moose in der Natur
Solche Orte, an denen im Halbschatten, meistens unter nicht zu nahe aneinander stehenden Nadelbäumen, grössere Moosflächen in sanften Wellen den Boden überziehen, haben es mir schon immer sehr angetan. Ein seltsamer Zauber geht von solchen Plätzen aus, da sie immer irgendwie schon seit langer Zeit unberührt erscheinen.
Moose, die aus Grünalgen der Gezeitenzonen hervorgegangen sind, gehören zu den ersten Pflanzen, die vor Hunderten von Millionen Jahren begannen, die Landmassen für sich zu erobern. Es sind feine, unscheinbare Pflänzchen, die von vielen Rasenliebhabern meistens nicht gewollt sind oder einfach übersehen werden. Doch treten diese Pflanzen einmal gehäuft auf, zum Beispiel in einem Hochmoor, in einem tropischen Nebelwald oder bei einem Wasserfall, können berauschende Farb-Wirkungen entstehen, die einen aufmerksamen Betrachter tiefgreifend berühren müssen.
Moos für die Gartengestaltung
Bereits als kleiner Junge habe ich in Wäldern Moose gesammelt, mit denen ich dann im eigenen Garten selber versucht habe, kleine Moosgärten anzulegen. Die Faszination und die Liebe für diese Pflanzen sind bis heute erhalten geblieben. So sind in den vergangenen Jahren immer wieder Gestaltungen entstanden, bei denen Moose eine ganz wichtige Rolle gespielt haben.
Unter einem Trompetenbaum, der mit seinen grossen Blättern wie ein Urwaldriese erscheint, haben wir einen grösseren Moosgarten angelegt, der verstärkt durch die beiden Ammoniten, Farne und einige Baumfarne zu einem Urweltgarten wurde. Unsere Absicht war es, eine Atmosphäre zu schaffen, die den Betrachter in eine möglichst weit zurückliegende Zeit versetzt.
Mitten im Moosgarten des Saihō-ji-Tempels in Kyoto befindet sich der „Goldene Teich“. Das Gewässer hat die gleiche Form wie das chinesische Schriftzeichen mit der Bedeutung für „Herz“ oder „Geist“ (心 kokoro).
In ihm befinden sich drei kleine Inseln mit den Namen „Asahi Insel, Yūhi Insel und Kiri Insel. Um den Teich herum führen Wege, die den Garten einerseits strukturieren, andererseits dem Besucher nur bestimmte Ausblicke in den Garten gestatten, die sicherlich vom Gestalter so beabsichtigt waren.
Das Torfmoos Spaghnum
Moospflanzen treten meistens in verschiedenen Grüntönen auf. Doch nur schon das bekannte Torfmoos (Spaghnum) begegnet uns gerade in den kälteren Monaten, ausser in blau, in fast allen Farbvariationen: sehr oft sind es Braun-, Orange- und tiefe Rottöne. Trockenheit hat bei vielen Moosarten noch lange nicht den Tod zur Folge. Es scheint zwar so, als ob sie verdorrt wären, doch kaum hat es geregnet, und die Pflänzchen haben sich voll saugen können, erstrahlen sie wieder in ihren jeweiligen Farben.
Moos in der japanischen Gartenkultur
Es waren eben nicht nur Naturstandorte, die mich zu Gestaltungen mit Moosen angeregt haben. In der japanischen Gartentradition hatte diese Pflanze immer schon eine ungleich höhere Bedeutung als bei uns im Westen. Dies hat auch damit zu tun, dass die durchschnittliche Luftfeuchtigkeit in Japan deutlich höher liegt als bei uns, was wiederum dem guten Gedeihen dieser Pflanzen stark zu Gute kommt. Es sind neben dem anfänglich bereits erwähnten Moosgarten im Saihō-ji-Tempel vor allem jene Zen-Gärten mit Kiesflächen und Moospolster um Felsen herum arrangiert, denen eine grosse Bedeutung zukommt. Werden die Felsinseln in diesen Kiesmeeren als Miniaturen der japanischen Küstenlandschaft mit ihren zahlreichen Inseln betrachtet, soll das Moos wohl sich an Bergflanken entlang ziehende, weit entfernte Wälder darstellen.
Bei der Betrachtung einer solchen Miniaturlandschaft kann eine Stimmung der Erhabenheit entstehen, die eine tiefe Versenkung innerhalb der nachfolgenden Meditation stark unterstützen kann.
Torfmoos auf der Insel Feuerland
Vor einigen Jahren spielte ich mit einem Streichquartett an einem Kammermusikfestival in Ushuaja auf der Insel Feuerland (Patagonien), eine Stadt, die nur noch etwa tausend Kilometer von der Antarktis entfernt ist.
An unserem einzigen freien Tag machten wir eine Wanderung durch die umliegende Gegend. Beeindruckend waren vor allem alte Notofagus-Wälder, die skulpturenartig an gigantisch grosse Bonsais erinnerten. Die Wanderung endete bei einem Hochmoor in unmittelbarer Nähe von unserem Hotel, dessen Torfmoos fast durchgehend blutrot war. Ich durchwanderte eine vollkommen unwirkliche Atmosphäre mit der Farbe Rot in einer Ausdehnung, wie ich es vorher noch nie erlebt habe. In jenem Moment wurde mir endgültig klar, wie sehr Farben unsere Gemütslagen beeinflussen können. Die gleiche Pflanze, statt in Grün nun in Rot, liess mich in einer Art empfinden, als ob ich mich auf einem anderen Planeten aufhalten würde.
Der Moosgarten auf dem Gelände des Saihō-ji-Tempels ist in seiner ruhigen und beschaulichen Atmosphäre wohl unübertroffen. Um den Goldenen Teich herum, sagt man, würden mehr als hundertzwanzig verschiedene Moosarten wachsen, die gemäss Überlieferung nach einer Überflutung des Tempelgeländes in der Edo-Periode () zu wachsen begannen. Der Garten, der als Paradies für den Amida Buddha – den Buddha des grenzenlosen Mitgefühls – gedacht war, erstrahlt nicht etwa in einer luxeriösen Üppigkeit mit blühenden Gewächsen, wie man das Paradies von anderen Kulturen her kennt, sondern es berührt in diesem Fall durch eine Stimmung der Einfachheit und Bescheidenheit, wie es für die Essenz des Japanischen wohl charakteristisch ist.
Florentin Eilers meint
Moosgarten ist für mich ganz neu! Ich stelle mir vor, wie war die Gartenplanung gemacht. Japanischer Garten fasziniert mich immer! Vielen Dank für den tollen Beitrag.