Beim bekannten Begriff „Must de Cartier“ weist das „Must“ darauf hin, dass es sich um ein Objekt aus dem Hause Cartier handelt, das man unbedingt besitzen sollte und gleichzeitig auch in seinem Besitz haben möchte. Ein „Must de Marrakech“ wäre für mich der „Jardin Majorelle“, den man natürlich nicht mehr erstehen, sondern nur noch besichtigen kann. Es ist ein Muss für jeden Besucher dieser herrlichen Stadt, sich diesen Garten gewissermassen zu Gemüte zu führen, denn anders darf man es gar nicht ausdrücken.
Ich nehme es jedes Mal, wenn ich diesen Ort besuche, erneut als ein sehr sinnliches Erlebnis war – auch für die Nase, doch in erster Linie für die Augen. Was Jacques Majorelle als Maler geschaffen hat, geniesst zwar unter Kunstkennern immer mehr Beachtung, doch der von ihm in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts erschaffene Garten ist sein wahres Meisterwerk.
Der Garten selber, im Grunde genommen ein botanischer Garten, beherbergt hauptsächlich Sukkulenten– und Palmenarten aller fünf Kontinente. Dann blühen fast zu jeder Jahreszeit auch Bougainvillea-Arten in vielen Farben. Sie bilden denn auch einen herrlich-üppigen Kontrast zu den sonst dominierenden Wüstenpflanzen des Gartens.
Welchem Bepflanzungskonzept die Gestalter genau gefolgt sind, kann ich nicht wirklich beurteilen. Auf jeden Fall schaffen die nahe nebeneinander stehenden, zum Teil sehr grossen Sukkulenten ein wirres Durcheinander, das aber seinen ganz eigenen Reiz hat. Pflanzen, die üblicherweise in sehr kargen Gegenden wachsen, werden hier wild durcheinander auf engem Raum präsentiert und schaffen so das pure Gegenteil zu ihrem angestammten Lebensraum, nämlich eine überbordende Üppigkeit, die den Besucher diese Pflanzen plötzlich in einem ganz anderen Licht sehen lässt.
Der Garten hat etwas Magisches und ist in seiner Art ein Unikat, vergleichbar in seiner Einzigartigkeit höchstens mit dem aus der italienischen Region Latium stammende „Sacro Bosco di Bomarzo“, einem heiligen Hain aus dem 16.Jahrhundert, einem mystischen Garten voll mit surrealen Figuren, über deren Bedeutung noch heute gerätselt wird. Dieser wurde in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts von Salvador Dalí gewissermassen entdeckt, ausgegraben und wieder in Stand gestellt. Ganz ähnlich spielte es sich beim „Jardin Majorelle“ ab. Auch hier musste, zwar nicht nach Jahrhunderten, doch immerhin nach Jahrzehnten des Dornröschenschlafs, ein Prinz erscheinen, um die schlafende Prinzessin aus ihrem Schlaf zu erwecken und zu erlösen.
Dies war der verstorbene Modezar Yves Saint Laurent zusammen mit seinem Lebenspartner Pierre Bergé. Diese beiden erkannten glücklicherweise, welches grosse Potential hinter diesem Garten steckte und nahmen sich seiner an. Tatsächlich ist der Garten seit 1947 bereits öffentlich zugänglich, doch erst 1980, mit dem Kauf durch YSL, konnte der Niedergang und die zunehmende Verwahrlosung des Gartens aufgehalten werden.
Auch bei meinem letzten Besuch von Marrakech im Dezember vorigen Jahres musste ich es mir wieder gönnen, mich der betörenden und suggestiven Atmosphäre hinzugeben. Eine besondere Abstufung des Kobaltblaus, das Majorelle in seinem Garten grosszügig verwendete, nennt man nach ihm „Majorelle-Blau“. Dieses überzieht neben den an allen Ecken und Enden stehenden Terracotta-Schalen, – Amphoren und -Vasen vor allem die beiden, in einer ganz eigentümlichen Architektur gebauten kleinen Häuser, die unter anderem das islamische Kunstmuseum von Marrakech beherbergen. Auch werden dort wunderbare, durch Marrakech und Marokko inspirierte Kreationen gezeigt, die vom grossen Haute-Couturier höchstpersönlich angefertigt wurden.
Jener Blauton ist im Grunde der Hauptakteur dieses Gartens, auch wenn er scheinbar nur Flächen bedeckt. Die Intensität der Atmosphäre durch dieses Blau ist tatsächlich so gross, dass der Aufenthalt in diesem Garten für jeden, der seinen Sinnen auch nur ein bisschen schmeicheln möchte, zu einem absoluten Muss wird, sollte er je die Gelegenheit haben, diese farbenfrohe Stadt wie aus den Märchen aus Tausend und einer Nacht zu besuchen.
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